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  • Kerstin

21. Mai 2021: Anti-Pups

Ich habe seit rund zwei Monaten ein neues Aufgabengebiet übernommen – Applied Science nennt sich das Ganze, und das Prinzip dahinter ist wirklich faszinierend: Im Grunde beschäftige ich mich jetzt jeden Tag mit der Frage, wie man abgefahrene wissenschaftliche Vorgänge für Normalverbraucher verträglich verpacken und irgendwie relevant machen kann.


Dabei hatte ich gestern ein höchst vergnügliches Telefonat mit einem externen Wissenschaftler, der mich auf eine Untersuchung aufmerksam gemacht hat, die ich Euch unmöglich vorenthalten kann. Denn – angewandte Wissenschaft – hier handelt es sich um einen zunächst mal für uns Menschen höchst irrelevanten Umstand, der aber in Zeiten wie diesen und mit ein bisschen wissenschaftlicher Phantasie plötzlich interessant und potenziell sogar ein medizinischer Renner werden kann.

Genug also der Vorrede – wir tauchen direkt ein in die tiefsten Tiefen der Naturwissenschaften.


Also: Heute geht es um enterale Ventilation. Wer ein wenig die wissenschaftliche Fachsprache beherrscht, weiß damit sofort was gemeint ist: Luft (=Ventilation) durch den Darm (enteral), und in der vorliegenden Untersuchung genauer gesagt durch den Anus – das Arschloch.

Aber – Überraschung: Es geht NICHT um das Luft herauslassen, sondern um die Vorzüge, Luft hineinzubekommen!


Durchgeführt wurde diese Untersuchung bislang nicht am Menschen, sondern an Mäusen, und zwar solchen, die man versuchsweise in einen Status der Hypoxie, also des Atmungsversagens (bzw. kurz davor) versetzt hat. Oh, davon haben wir in den letzten Monaten viel gehört!? Richtig. Hypoxie bekommen Menschen, die schwer an COVID-19 erkrankt sind und für die vollen Intensivstationen sorgen. Die werden alle künstlich beatmet.

Jetzt denken wir gemeinsam einen Schritt weiter. Alle noch dabei? Man hat also versucht, die Mäuse nicht über die Lunge, sondern durch das Loch im Allerwertesten zu beatmen. Hintergrund dessen ist die bereits seit den 1950erjahren gewonnene Erkenntnis, dass bestimmte Organismen tatsächlich eine natürliche enterale Atmung besitzen und dadurch in extrem sauerstoffarmen Gegenden überleben können. Dazu gehören beispielsweise Seegurken, Schmerlen oder Corydoras.

Und weil der Enddarm von Säugetieren sich anatomisch gar nicht so wahnsinnig von ebendiesen Atmungs-Darm-Organen unterscheidet, kann man solch einen Versuch ja mal durchführen (Originalpublikation für alle Interessierten übrigens hier).


Gedacht, getan. Nun wurde der Sauerstoff nicht in Reinform in die Mäuseärsche geblasen, sondern in eine Flüssigkeit geführt, die das Gas festhalten kann (das Zeug heißt Perfluorodecalin – ein tolles Molekül. Aber darüber lernen wir mal wann anders). Und dann gabs einen klassischen Einlauf – und tatsächlich konnten die Mäuse danach wieder deutlich besser atmen. Und zwar so viel besser, dass man das Ganze gleich noch an Schweinen ausprobiert hat – ebenfalls mit Erfolg. Wen der Versuchsaufbau interessiert, kann sich das im Anhang nochmal ganz im Detail zu Gemüte führen.


Wenn nun der nächste Schritt – Replikation der Ergebnisse am Menschen – auch noch klappt, gibt es also in Zukunft ggf. eine neue Methode der Beatmung von COVID-Patient*innen. Vielleicht ist das ja eine gangbare Alternative für die Impfskeptischen unter uns. Ein minimalinvasiver Eingriff zur Lebensrettung (sozusagen der Anti-Pups) ist ja schließlich allemal besser als Metallchipsspritzen in den Arm zu bekommen. Wozu angewandte Wissenschaft nicht alles gut sein kann.


Hochwissenschaftliche Wochenendgrüße!




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