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  • Kerstin

14. Mai 2021: Ist ja typisch

Gestern ist es passiert. Während Ihr in Deutschland den Vatertag feiert – nur ein paar Tage vom Muttertag entfernt in diesem Jahr, damit auch die Väter noch in den Genuss der überteuerten Blumen kommen – und ein Brückenwochenende lang ausschlaft und auf den Impftermin wartet (mehr kann man eh nicht tun), wird diesseits des Atlantiks hart gearbeitet. Naja, zumindest gearbeitet.

Und dabei war es soweit:

Ich war zu spät.


Als ich um 11:02 den Zoom-Meetingraum für mein 11:00-Meeting betrat, war mein amerikanischer Kollege, der sonst immer mindestens 4 Minuten zu spät zu jedem Meeting kommt, schon da und wartete auf mich. Und eine der von mir so neurotisch liebevoll gehegte deutsche Tugend war damit dahin. Verabschiede ich mich jetzt sogar von der deutschen Pünktlichkeit?!


Ich habe das bestimmt schonmal gesagt: Man passt sich ganz offenbar der Umgebung und der Gesellschaft, in der man lebt, an. Bei uns zu Hause ist natürlich auch nach mittlerweile zwei Jahren hier einiges ganz bewusst deutsch: Die Sprache (zumindest größtenteils – nicht immer zur Freude des Kindes des Hauses, welches mittlerweile besser Englisch als Deutsch spricht), das bevorzugte Sportprogramm im TV (Glückwunsch BvB) oder die Linsensuppe.


Was wir hier in den letzten beiden Jahren aber auch kennengelernt haben, sind die typisch deutschen Eigenschaften, von denen wir gar nicht so richtig wussten dass es typisch deutsche Eigenschaften sind.

Die wichtigste unerkannte deutsche Eigenheit: Die Fenster. Beziehungsweise unsere Beziehung zu ihnen. Wir deutschen sind schließlich wahre Frischluftfanatiker*innen. Vor allem Nachts. Wenn da nicht die Schlafzimmerfenster wenigstens auf Kipp sind („Kipp“ – versucht mal irgendwo anders auf der Welt Fenster mit Kippvorrichtung zu finden), dann muss aber unbedingt am nächsten Tag ordentlich Stoßlüften her. Diese Tradition haben die Deutschen mittlerweile sogar in Klassenräume verlegt – Corona sei Dank. Und ich muss jeden morgen grinsen, wenn bei uns ordentlich gelüftet wird.


Eine andere sehr deutsche Eigenschaft haben wir hingegen bei der Ausreise hinter uns gelassen: Schwarzfahren…interessanterweise sind tatsächlich wir sonst angeblich so regelkonformen Deutschen wahre Meister im unbezahlten ÖPNV-Transport. Das geht alleine deshalb hier schon nicht, weil es kaum ÖPNV gibt…was es dafür hier recht oft gibt, sind abschraubbare Kronkorken auf Bier- und anderen Flaschen, sodass die urdeutsche Kunst, Flaschen mit Feuerzeugen, Löffeln oder Zähnen zu öffnen, bei uns ebenfalls kaum gefragt wird – abgesehen davon, dass Bierflaschen ohnehin nicht im Park, im ÖPNV oder auf der Straße getrunken werden darf, sondern eben nur da wo meist Flaschenöffner vorhanden sind. Wer muss das dann schon lernen.


Auch hier wiederhole ich mich sicher: Wenn man das Heimatland einmal für eine Weile verlässt und eine neue Kultur kennenlernt, passiert etwas wunderbares: Man lernt diese Kleinigkeiten, die man in der Heimat vorher kaum wahrgenommen hat, wirklich zu schätzen. Und auch andersherum passiert das Gleiche: Die starren, oftmals unsympathischen Klischees des Gastlandes verblassen schnell, während man die vorher oft unbekannten Eigenheiten lieben lernt. Und das gibt uns einen wunderbar großen Reichtum an Gewohnheiten und Bräuchen, den wir gar nicht mehr missen mögen.

Und wenn ich die deutschen Klischees doch ab und zu vermisse, dann hilft mir ein Blick auf das angehängte Bild, um mich wieder ganz diszipliniert, strukturiert deutsch zu fühlen. Da verkrafte ich sogar den Verlust der Pünktlichkeit.


Genießt den Brückentag!




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