top of page
  • Kerstin

08. April 2022: Gut gemeint

Nach drei Jahren diesseits des Atlantiks kann ich wirklich sagen: Ich fühle mich hier zu Hause. Ich habe mich an die großen Parklücken, die freundlichen Menschen im Supermarkt und den Schilderwald auf den Straßen gewöhnt, finde gelbe Schulbusse genauso normal wie Türen mit Drehknopf statt Klinke und weiß genau dass, wenn jemand während der ersten Unterhaltung zu mir sagt, dass wir uns unbedingt bald nochmal treffen müssen, das nichts anderes als eine Sympathiebekundung ist und keinesfalls eine wirkliche Einladung ist.


Aber hin und wieder gibt es Momente, da wundere ich mich doch über „die Amis“. Am Dienstag zum Beispiel. Da gab es eine große Aktion bei der Arbeit: Decken schneidern für die Ukraine.

Die Aktion war für mich ein Musterbeispiel der amerikanischen Kultur: Alle sind sich einig, dass sie für das Gute sind und gegen das Böse (gut: die Amis und die Opfer der Bösen; böse: Russland/Kommunismus/Nazis/enge Parklücken) und sind SOFORT bereit zu helfen.

Sofort bedeutet: Hauptsache etwas machen. Ob unförmig geschnittene Stoffstücke, die an den Rändern in Streifen geschnitten und dann verknotet werden, wirklich gute Hilfsmittel sind, ist eigentlich egal. Ob Geflüchtete, die im beginnenden Sommer solche „Decken“ wirklich brauchen, eigentlich auch. Früher hat man anderen im Krieg schließlich auch Decken geschenkt.

Vor allem aber ist man sehr „proud“ auf sich selbst. Und macht die Hilfsaktion zu einer großen Party: In diesem Falle mit DJ, kostenlosem Frühstück für alle und sehr viel PR im Intranet.

Fazit: Nicht besonders viel und nicht besonders wertvolle Hilfe, aber viel Idealismus und viel Geld ausgegeben, um sich selbst so richtig gut zu fühlen.


Zugegeben. Es hat wirklich Spaß gemacht (Beweis im Anhang). Aber dennoch hat mich die ganze Aktion sehr zum Nachdenken angeregt, was denn wirklich sinnvolle Hilfe wäre.

Deshalb werde ich in den nächsten Tagen Spenden sammeln. Am 23.4. werde ich beim Pride Run in Atlantic City 10km laufen und dabei auf die LGBTQ+ Community in Kriegsgebieten aufmerksam machen, die mit am wenigsten Unterstützung bekommt, wenn sie in eben diesen leben oder von dort flüchten wollen. Wer mich dabei unterstützen mochte, kann entweder in zwei Wochen nach Atlantic City kommen und mich anfeuern (gut gemeint) oder hier zusammen mit mir die Menschen unterstützen die es wirklich brauchen (gut getan). Und dann ein bisschen amerikanisch proud sein.

(Wirklich) Gut gemeinte Wochenendgrüße!




41 views0 comments

Recent Posts

See All
bottom of page